Nachruf auf Franz Stock von Joseph Folliet - In „Werkblätter - Bundesrundbrief des Quickborn", Mai 1948, steht ein aus der französischen Zeitschrift „Temoignage Chretien" vom 4. April 1948 übersetzter Beitrag von Stocks Freund Joseph Folliet (damals Professor an der katholischen Universität Lyon und einer der führenden Repräsentanten des katholischen Frankreich), in dem es u.a.. heißt:
„Er hieß Franz Stock und war Priester Jesu Christi.
Als Gefängnisgeistlicher in Fresnes während des Krieges war er in diesem Vorzimmer des Todes und diesem Nebenzimmer der Hölle der Exponent der priesterlichen Liebe, die wie Gott und der Tod weder Rassen noch Sprachen, weder Nationen noch Parteien kennt. Er tröstete, er erleuchtete, er bereitete auf den letzten Gang vor, glühende Katholiken, laue, verstockte, reuige Sünder und Kommunisten, in denen noch ein Fünklein Christusglaube übriggeblieben war. Er stärkte sogar die unglücklichen Juden, welchen er in den letzten Minuten vor ihrer Hinrichtung die herrlichsten Stellen aus dem Alten Testament vorlas. So war er nicht nur ein Priester jenseits des Kampfgemenges, sondern auch ein Mensch mit allem, was dieses Wort an Mitverstehen und Mitfühlen umschließt. Er überbrachte den Sträflingen Nachrichten aus ihren Familien, den Familien Nachrichten von ihren Gefangenen. Wie prächtig verstand er es, Mahnungen, Warnungen, Ratschläge durchzuschmuggeln. Und wenn er die Türen zu den Zellen schloss, so sagte er mit seinem verbindlichsten wehmütigen Lächeln: „Natürlich habe ich ihnen nichts gesagt."
Die Leute aus der Widerstandsbewegung, die mit dem Leben davonkamen, haben ihn hoch geehrt als den lebendigen Beweis dafür, dass die Liebe nicht ausgestorben ist. Er verstand es wunderbar, seinen gefährlichen Beruf auszuüben. Wenn die Gestapo ihm zuviel Aufmerksamkeit widmete, ließ ihn eine diplomatische Erkrankung für ein oder zwei Monate in der Versenkung verschwinden. Dann tauchte er wieder auf, mild und hartnäckig, sobald der Zwischenfall vergessen war.
Er war mein Freund. Ich hatte ihn gekannt als Quickborner, als großen und schlanken jungen Burschen mit blonden Haaren, mit einem Blick in die Ferne. Er wurde dann Gefährte des Heiligen Franz und vertrat jahrelang diese Bewegung in Deutschland. Dann war er mein Mitschüler am Katholischen Institut in Paris. Ich verlebte herrliche Ferien mit den Seinen, einer jener echten urwüchsigen Familien Westfalens, echte Arbeiter, echte Christen, aus jenem kernigen Menschenschlag, den Hitler vergebens kleinzukriegen versuchte.
Er liebte sein Vaterland und er verstand es mit einer überzeugenden Intelligenz zu verteidigen. Er liebte auch Frankreich, das er wunderbar begriff. Der Krieg zerschnitt ihm die Seele. Er wusste den Frieden zu finden in seiner Pariser Mission. Das Ende des Krieges traf ihn krank mit versagenden Nerven. Hunderte von dem Tod Geweihten hatte er bis vor die schicksalhaften Mauern begleitet. Seine Nerven hielten es nicht mehr aus. Er raffte sich zu einem letzten großen Liebesdienst auf, indem er das Priesterseminar für kriegsgefangene Deutsche in Chartres leitete. Und dann starb er.
Mit 42 Jahren.
Es war fast niemand bei seiner Beerdigung, vielleicht ein Dutzend Menschen. Es hieß, die Erfordernisse der Politik ließen die Teilnahme an den Beerdigungsfeierlichkeiten und das Anrücken der ihm gebührenden Volksmengen unerwünscht erscheinen. Armselige Politik! Armselige Politiker! - Ich spotte der Politik und der Politiker! Und darum, Franz, in dieser Zeitung, die den Titel trägt „Christliches Zeugnis " nehme ich öffentlich Abschied von Dir.
Du hast Dein Zeugnis gegeben. Es beweist, dass selbst im Mittelpunkt der Schrecknisse, inmitten der Grausamkeiten und der Abtrünnigkeiten, die Kirche immer noch Früchte der Brüderlichkeit trägt und dass die Liebe immer stärker ist als der Hass.
Dafür, Franz, habe Dank und möge deine Seele über Qualen und Blutvergießen hinweg im Himmel alle die Seelen der Helden und der armseligen Menschlein wiederfinden, die Du auf das Erscheinen vor ihrem Herrgott vorbereitet hast."