Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann, Speyer
Das Beispiel Franz Stocks ermutigt uns auch heute, gemeinsame Wege in ein christliches Europa gegenseitigen Vertrauens zu gehen.
Predigt in der Kathedrale von Chartres, Christi Himmelfahrt 2009
Quelle: www.bistum-speyer.de
Wege in ein christliches Europa gegenseitigen Vertrauens
Bischof Wiesemann Ehrendomherr der Kathedrale von Chartres
Seit Abschluss der Städtepartnerschaft im Jahr 1959 ist es Tradition, dass die Bischöfe der beiden Partnerstädte die Ehrendomherrenwürde der jeweils anderen Kathedrale erhalten. Als erster Speyerer Bischof wurde Bischof Dr. Isidor Markus Emanuel 1960 im Rahmen der 700-Jahr-Feier des gotischen Gotteshauses zum Ehrendomherrn der Kathedrale von Chartres ernannt. Im Gegenzug erhielt mit Monseigneur Roger Michon 1967 erstmals ein Bischof von Chartres die Auszeichnung seitens des Speyerer Domkapitels. Bischof em. Dr. Anton Schlembach wurde die Ehrendomherrenwürde von Chartres 1987 verliehen. Text / Foto: is
Die Predigt des Bischofs im Wortlaut:
Christi Himmelfahrt 2009
Predigt von Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann
am 21. Mai 2009 in der Kathedrale von Chartres
Sehr geehrter, lieber Mitbruder Bischof Michel Pansard,
liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt,
Schwestern und Brüder im Glauben,
die große Festzeit von Ostern neigt sich ihrem Ende zu. Wir schauen bereits aus auf das Pfingstfest, als der Geist Gottes über die junge Kirche kam, Angst und Verschlossenheit sich lösten und die Apostel im vollen Sinn des Wortes als begeisterte Glaubenszeugen auftraten.
Heute feiert die Kirche das Fest der Himmelfahrt Christi. Der Auferstandene geht heim zum Vater und nimmt sein erlöstes, verklärtes Menschsein mit: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn sonst kann der Tröster nicht zu euch kommen.“
Einige der Jünger haben mit Jesus bereits mehr als einen Aufstieg hinter sich. Da ist die Begebenheit der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor: die drei Apostel dürfen auf dem Berg einen ersten Blick auf die Auferstehung werfen. Doch sie dürfen sich dort nicht häuslich niederlassen. Es heißt wieder hinunterzusteigen vom Berg, in den Alltag mit Christus. Vor die Auferstehung ist der Weg des Kreuzes gesetzt.
So kommt der nächste Aufstieg mit Jesus: Der Weg hinauf zum Berg Golgotha. So hart war er, so schwer und gar nicht dem Erlebnis auf dem Tabor gleich, dass die Jünger die Flucht ergreifen. Weg vom Kreuz, weg vom scheinbar gescheiterten Herrn. Nur wenige halten stand. Danach sind viele traurig und desillusioniert. Das Vertrauen in den Meister und seine Worte und Wunder scheint vergeblich gewesen zu sein.
Und da ereignet sich das Unglaubliche, das anders als im Geiste Gottes nicht zu verstehen ist:
Jesus lebt, er ist nicht tot. Ja, er geht seinen Jüngern sogar wieder voraus nach Galiläa und heißt sie, ihm zu folgen. Viele der Jünger können es erst gar nicht fassen, so umwerfend ist diese Erfahrung, so übermächtig füllt der Geist Gottes ihr Herz mit Freude und Hoffnung: Ist es tatsächlich wahr? Immer mehr setzt sich die Erkenntnis des Glaubens durch, dass sie den Herrn vergeblich bei den Toten suchen, weil er auferstanden ist.
Aber noch sind sie zurückhaltend. Noch verbleibt die Erfahrung in der Intimität des Obergemaches in Jerusalem. Die Jünger bleiben unter sich, fürchten sich vor der Welt, vor denen, die ihre Erfahrung nicht gemacht haben und ihren Glauben nicht teilen.
Und so muß noch der dritte Aufstieg folgen: Um das Heilswerk zu vollenden, geht Jesus wieder zu dem, der ihn gesandt hat. Er kehrt heim zum Vater. Die Jünger werden ihn fortan erfahren im Entzogen-Sein als erhöhter Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt. Und doch bleibt er geheimnisvoll gegenwärtig. Er lässt seine Jünger nicht verwaist zurück, indem er den Parakleten schickt, der sie alles lehrt und in die Wahrheit einführt.
Wie schon Jesus lehrt dieser Geist nichts Eigenes aus sich heraus, sondern nur die göttliche Wahrheit des Vaters. Die Jünger brauchen diesen Geist für ihren Weg der Nachfolge. Denn Jesus nimmt zwar sein erlöstes Mensch-Sein mit, doch die Jünger sind vorerst noch auf Erden, wo sie ihren Weg als Zeugen Jesu Christi zu gehen haben. Dass der Herr aufgefahren ist, zeigt aber allen bereits an, was Paulus so zum Ausdruck bringt: „Ihr seid mit Christus auferweckt, darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das Himmlische, nicht auf das Irdische.“ Und an anderer Stelle: „Unsere Heimat aber ist im Himmel!“
Der Geist Gottes bricht die Angst und Verschlossenheit der ersten Jünger auf und lässt sie hinausgehen in die Welt, als mutige und frohe Zeugen der Auferstehung. War ihre Situation – menschlich gesprochen – nicht noch viel aussichtloser als unsere Situation als Kirche heute? Und doch haben es die Apostel gewagt – auf das Wort Jesu hin und in der Gewissheit seiner Geisteskraft.
Es ist schön, dass mein erster Besuch in Chartres als Bischof von Speyer auf ein Fest fällt, das in so inniger Beziehung mit der Geistsendung steht. Die Partnerschaften zwischen unseren Städten, die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Einigung zeigen, dass eine Verständigung zwischen Völkern möglich ist. Ein Verstehen des Anderen, auch wenn er eine andere Sprache spricht und eine andere Kultur hat. Die europäische Verständigung nach dem von Deutschland ausgegangenen Schrecken des Zweiten Weltkriegs und dem Terror der Nationalsozialisten war immer auch in starkem Maße mitgetragen von Politikern, die ihren christlichen Glauben prägend in ihre politische Arbeit einfließen ließen. Ich erinnere nur an Gestalten wie Robert Schumann oder Konrad Adenauer. So bin ich sehr dankbar für die Verbindung zwischen Speyer und Chartres, die Verbindung zwischen unseren Diözesen.
Als ehemaliger Paderborner Weihbischof verbindet mich mit Chartres aber auch die eindrucksvolle Gestalt von Abbé Stock, der in Chartres das sogenannte Stacheldrahtseminar leitete. Ich erinnere mich persönlich daran, wie ich mit Ihrem verehrten Vorgänger, Bischof Aubertin, in der Gebetsnacht von Abbé Stock in Neheim anlässlich seines 100. Geburtstages die Eucharistie gefeiert habe. Abbé Stocks Weg war auch ein beständiger Aufstieg auf Golgotha. Indem er unzählige zum Tode Verurteilte auf ihrem Kreuzweg begleitete, hat er Unermessliches für die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen gerade in dieser Zeit bitteren Unrechts und größter Schuld getan. Sein Beispiel ermutigt uns auch heute, gemeinsame Wege in ein christliches Europa gegenseitigen Vertrauens zu gehen. Für dieses christliche Europa stehen unsere beiden Kathedralen, der romanische Kaiser- und Mariendom und die gotische Kathedrale zu Chartres als herausragende Symbole. Sie verpflichten uns gegenseitig. Daher bin ich dankbar, Ehrendomherr von Chartres zu werden und darf Sie, verehrter Bischof Pansard, im Auftrag des Speyerer Domkapitels bitten, uns die Freude zu erweisen, ebenfalls die Würde eines Ehrendomherrs des Domes zu Speyer anzunehmen.
Die Kirche in unseren beiden Heimatländern hat sehr ähnliche Probleme.
Wir alle, die Kirche in Westeuropa, müssen uns wieder mehr in Brand stecken lassen vom Geist Gottes. Wir haben diesen Geist, Christus hat ihn uns gegeben, damit wir Zeugen sein können und es auch in Wahrheit sind.
Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir uns von diesem Geist entflammen. Tragen wir die Flamme des Glaubens weiter, auch wenn es manchmal schwer oder gar aussichtslos zu sein scheint.
Wir schulden unseren Zeitgenossen den Blick auf den Himmel. Nur wenn wir selbst auf den erhöhten Herrn blicken und uns mit seinem Geist beschenken lassen, können wir überzeugend seine Botschaft auch heute verkünden. Amen.